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  • Elisabeth Rass

Von Frau zu Frau

Betriebsübergabe gestern und heute



Die Wirtschaft in Südtirol ist geprägt von einer Vielzahl von kleinen Betrieben. Rund 5.800 Betriebe stehen laut der Handelskammer Bozen vor einer Betriebsübergabe. Für die Absicherung der heimischen Tourismusbetriebe ist eine reibungslose und strategische Betriebsübergabe an die nächste Generation von großer Bedeutung. Wird weder familienintern, noch extern ein/e Nachfolger/in gefunden, kommt es zur Betriebsschließung wodurch Fachwissen, Qualität und Arbeitsplätze verloren gehen.


In der Theorie weiß man was bei einer Übergabe zu tun ist. In der Praxis sind es aber meist doch Familiengeschichten, in der die menschliche Komponente, und dazu gehören die Gefühle der einzelnen Familienmitglieder einfließen und eine größere Rolle spielen als erwartet.

Beispiel einer Betriebsübergabe im Jahre 1973


Nach dem Abschluss der Hotelfachschule „Kaiserhof“ sammelt die junge Meranerin 1971 ihre ersten Arbeitserfahrungen als Rezeptionistin im Sporthotel Theresa in Pedraces. Es ist ihre erste Wintersaison. Über die Sommermonate zieht es sie ans Meer, ins Parc Hotel in Baia Domizia, wo sie ihre Italienischkenntnisse an der Rezeption verbessert. Es folgt ein Jahr Auslandsaufenthalt in London: zuerst als Au-pair mit dem Besuch eines Englischkurses, anschließend als Rezeptionistin im Mayfair Hotel. Von Oktober 1972 bis Juni 1973 folgt ein weiterer Auslandsaufenthalt in Paris und im Anschluss kehrt sie in das Sporthotel Theresa zurück. Dort angekommen, haben die kinderlosen Besitzer Großes mit ihr vor und rechnen mit einer zukünftigen, langjährigen Zusammenarbeit. Doch dazu wird es nicht kommen, denn das Leben hat andere Pläne für die damals 23-Jährige.



„Es war alles, nur kein Hotel!“


Nach einem Anruf des Vaters und der Mitteilung, dass zwei Mitarbeiterinnen im elterlichen Hotelbetrieb plötzlich ausgefallen waren, kehrt die junge Meranerin 1973 überstürzt von Pedraces nach Meran zurück. Die Aushilfe im Betrieb verwandelt sich nach einiger Zeit in einen 2-jährigen Pachtvertrag mit dem Vater. „Es war alles nur kein Hotel!“ erinnert sich die heutige 69-Jährige. Von den damals 20 Zimmern hatten die Hälfte nur ein Etagen-WC mit Dusche. Vor dem Haus befand sich eine Esso-Tankstelle mit Waschanlage, welche verpachtet war und deren Mietvertrag sich im Jahr zuvor stillschweigend für weitere neun Jahre verlängert hatte. Die Garage war an einen Mechaniker verpachtet und im Heizraum schlief der Bettler „Ander“ unter dem 2000 Liter-Wasserboiler. Ach ja, und Parkplatz für die Gäste gab es natürlich auch keinen.


Die junge Chefin musste sich damals oft beweisen, aber gemeinsam mit der tatkräftigen Mithilfe ihrer Mutter, welche selbst bis über 90 im Hotelbetrieb tätig war, gelang so einiges. Die anfänglichen praktischen Herausforderungen konnten erfolgreich gemeistert werden und mit jedem kleinen Erfolgserlebnis wurde der Betrieb Stück für Stück immer mehr zu ihrem Lebenstraum, den sie bis heute mit großer Leidenschaft lebt. Die Übergabe damals war nicht immer einfach, es war ein “learning by doing”. Neben den alltäglichen Herausforderungen gab es aber auch diesen immer präsenten Wunsch und Ansporn den Familienbetrieb erfolgreich weiterzuführen. Diese Mission, welche von Generation zu Generation weitergegeben wird und neben der Verantwortung der Selbstständigkeit auch noch eine hohe Erwartungshaltung der Eltern an das Kind mit sich bringt.



Von Frau zu Frau


Heute arbeitet sie immer noch mit großer Leidenschaft im Betrieb mit, doch mittlerweile ist sie die Seniorchefin und blickt auf eine erfolgreiche Entwicklung zurück. Der Hotelbetrieb wurde 2019 an die Tochter übergeben. Diese Entscheidung war das Ergebnis eines längeren Prozesses, da die Kinder vorab andere Ausbildungen und Berufserfahrungen gesammelt hatten und ihnen im Unterschied zu damals viele weitere Wege offen standen. Gemeinsam mit der Hilfe von Experten konnten die fachlichen Punkte der Übergabe gut vorbereitet und durchgezogen werden. Für die Familie und deren Familienmitglieder ist es aber immer eine Umstellung, der leider vergleichsweise oft weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem Unternehmen selbst.


Der Betrieb ist heute kein Motel mehr, sondern wurde in Form eines 3-Sterne-Hotels übergeben. Dennoch gibt es immer wieder Potenzial der Weiterentwicklung und kleinere oder größere Herausforderungen zu meistern, genauso wie auch damals. Die Übergabe ist vollzogen, doch die Phase des Übergangs und der Anpassung an die heutigen touristischen Entwicklungen hat erst begonnen. Strategien, welche über Jahre funktioniert haben, müssen nun neu überdacht und angepasst werden. Die Herausforderung liegt darin, das Alte mit Neuem gefühlvoll zu verknüpfen und gemeinsam neue Wege zu gehen. Vieles hat die Familie aus dieser spannenden Zeit der Übergabe gelernt, mitgenommen und - wer weiß -vielleicht können diese Erfahrungswerte ja auch bei der Übergabe an die nächste Generation eingebracht werden. Aufgrund des weiderholt weiblichen Nachwuchses wäre es spannenderweise abermals eine Übergabe "von Frau zu Frau".




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