Goodies, Incentives und Benefits bezeichnen in der Wirtschaft Vorteile, die ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden zusätzlich zum Gehalt anbietet. Diese sollen die Bedürfnisse der Beschäftigten befriedigen und die Belegschaft motivieren, ihre Arbeit anerkennen und das Betriebsklima verbessern. Doch wie wichtig sind sie wirklich? Dazu befragen wir in diesem Blogbeitrag Judith Senoner, Unternehmensberaterin mit dem Schwerpunkt Personalwesen.
An dieser Stelle vielen Dank an dich, Judith, für deine Einschätzungen, Einblicke und deine wertvolle Zeit.
Liebe Judith, du bist mittlerweile seit fast acht Jahren als selbstständige Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt Personalwesen tätig. Was ist aktuell in der Leitung und Führung von Mitarbeiterinnen das Wichtigste?
Mitarbeiter wollen gesehen und wahrgenommen werden und ich bin davon überzeugt, dass jede Führungsperson sich mindestens zu 50% ihrer Arbeitszeit um eben diese kümmern sollte. Es sind nämlich sie, die den Job machen und so wie es derzeit ist, dass wir uns über jede Arbeitskraft freuen dürfen - ob gelernt oder ungelernt - brauchen Mitarbeiterinnen einfach mehr Aufmerksamkeit. Arbeitgeberinnen im Allgemeinen sind austauschbar geworden. Stelleninserate im Tourismus lesen sich alle gleich. Wir können zwar Kellner Tellerjongleure nennen und Reinigungskräfte Putzfeen, wenn wir aber nicht grundsätzlich unsere Haltung zu unseren Mitarbeitern ändern, dann werden wir wohl bald keine mehr haben. Wenn sich Unternehmerinnen nicht vor ihre Mitarbeiter stellen, wenn beispielsweise Gäste diese schlecht behandeln, dann ist es nicht verwunderlich, dass es einen Mangel an Fachkräften gibt. Wenn wir nur die Leistung, nicht jedoch den Einsatz honorieren, dürfen wir nicht aus allen Wolken fallen, wenn unsere Mitarbeiterinnen sich nicht wertgeschätzt fühlen. Social Media zeigt uns wie hoch derzeit - vor allem unter den Jüngeren - das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung ist und ich glaube, Unternehmen können sich dadurch von anderen abheben, wenn sie ihren Mitarbeitern diese zukommen lassen.
Es kommt meiner Meinung nach in der BegLEITUNG, wie ich sie nenne, darauf an männliche und weibliche Eigenschaften in Balance zu bringen. Unsere Wirtschaft ist stark "männlich" dominiert. Wir tun und machen, setzen Ziele und verfolgen diese. Wo aber sind die Soft Skills, die wir gerne auch dem Weiblichen zuschreiben? Was ist mit Verständnis, Empathie und Geduld? Es gibt für alles im Leben zwei Seiten, auch für die Leitung eines Unternehmens und ich glaube, dass wir hier schon seit langem völlig aus dem Gleichgewicht geraten sind. Uns Frauen wird von klein auf beigebracht, dass wir wie Männer sein müssen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Aber das stimmt nicht. Es ist die Kombination aus beidem, die ein erfolgreiches Miteinander ausmacht.
Mitarbeiterinnen erwarten Verständnis, wenn sie etwas belastet oder sie mal nicht so einen guten Tag haben und es ist nur menschlich, wenn wir es ihnen zugestehen. Dies soll nicht heißen, dass wir die Leitung unseres Unternehmens abgeben, das ist schließlich eine der Hauptaufgaben. Es kommt aber auf unsere Haltung an, wie wir miteinander umgehen und das müssen wir vorleben.
Arbeitnehmerinnen sind also Werte wie Verständnis, Empathie und Geduld wichtig. Aber entscheiden sie sich wirklich für ein Unternehmen mit besseren Werten oder geht es am Ende doch eher um attraktivere Incentives, ein höheres Gehalt oder einen Mix aus beiden Faktoren?
Wir sollten definieren, was wir unter Incentives verstehen. Wenn wir dabei die Mitarbeiterunterkunft und die Nutzung des Fitnessraumes meinen, dann werden diese im Tourismus als Selbstverständlich angesehen. Sozusagen, als Teil des Gesamtpakets, was verständlich ist, denn in den meisten Tourismusregionen sind die Preise für Unterkünfte dermaßen hoch, dass den Mitarbeitern oft wenig bis gar nichts vom Gehalt übrig bleibt, wenn die Unterkunft nicht vom Hotel gestellt wird. Somit kann Unterkunft in der heutigen Zeit nicht mehr als Incentive betrachtet werden. Natürlich spielt das Gehalt immer eine Rolle, wir sollten meiner Meinung nach jedoch aufhören, alle Mitarbeiterinnen über einen Kamm zu scheren und mehr auf ihre individuellen Bedürfnisse eingehen.
Wenn wir zum Beispiel alleinerziehende Mütter haben, die für den Tourismus eine wesentliche Rolle spielen könnten, dann finde ich es vermessen, wenn sie nach Kollektivvertrag bezahlt werden. Diese Mütter können jeden Cent gebrauchen, denn es gibt Studien die besagen, dass alleinerziehende Mütter es um ein Vielfaches schwerer haben. Ich glaube, wir sollten anfangen zu differenzieren und individuell auf unsere Mitarbeiterinnen eingehen. Das mag vielleicht nicht immer fair sein, aber das Leben als Alleinerzieher ist per se auch nicht fair. Pensionisten könnten künftig auch eine wesentliche Rolle im Tourismus spielen. Es gilt allerdings herauszufinden, was sie brauchen, wo ihre Bedürfnisse liegen und sie darin zu unterstützen diese zu erfüllen.
In einer Zeit, die vom Brun-out geprägt wird, sind meiner Meinung nach Incentives nicht hilfreich. Sie sollen nämlich dazu anspornen, die Leistung von Mitarbeitern zu erhöhen. Ich habe einmal eine weise Aussage von Reinhard K. Sprenger gelesen:
" Wenn wir davon ausgehen, dass Mitarbeiter ihre Leistung durch Incentives erhöhen können, dann gehen wir davon aus, dass sie uns nicht ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen, sondern so gesehen uns etwas von ihrer Leistung unterschlagen und diese nur dann zum Einsatz kommt, wenn es eine zusätzliche Bonifikation dafür gibt."
Es ist also etwas vermessen, wenn man glaubt, durch Incentives die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen. Ich würde eher meinen, das Gegenteil ist der Fall, denn wir misstrauen ihnen so gesehen, dass sie uns nicht ihre gesamte Arbeitskraft zuteilwerden lassen, die ihnen zur Verfügung steht.
Im Tourismusberiech haben wir lange Zeiträume am Tag die abgedeckt werden müssen, Mitarbeiterinnen mit unterschiedlichem Bildungsniveaus, Herkünfte und Kulturen, die sich treffen, unterschiedliche Berufsvorstellungen usw. Einige wollen so viel wie möglich am Stück arbeiten, andere am Wochenende frei, wie lautet deine Zauberformel, um all diesen Bedürfnissen individuell gerecht zu werden?
Die Zauberformel lautet, die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen zu erkennen und dabei zu helfen diese umzusetzen. Ist das zeitaufwendig - ja sicherlich! Aber das sind wir unseren Mitarbeitern schuldig, sie stellen uns nämlich das Wertvollste zur Verfügung das sie haben: ihre Zeit. Wir dürfen flexibler werden und uns mehr auf unsere Mitarbeiterinnen einlassen. Wir dürfen hinterfragen, warum sie ticken wie sie es tun. Sie können am Wochenende nicht arbeiten? Vielleicht geht es nicht, weil ihr Partner dann arbeitet und sich niemand um die Kinder kümmern kann. Oder vielleicht kümmern sie sich die ganze Woche allein um die Kinder und haben nur am Wochenende Zeit etwas für sich zu tun und dafür Sorge zu tragen, dass es ihnen gut geht und sie mit gefüllten Batterien in die Arbeit kommen. Wir dürfen wieder mehr mit unseren Mitarbeitern sprechen und wenn wir so wollen, sie als unsere erweiterte Familie betrachten und wie eine Mutter verstehen, was in ihnen vorgeht und was sie beschäftigt.
Frauen hören das meist nicht gerne, denn sie wollen im Job nicht auch noch die Mutterrolle übernehmen. Ich kann das sehr gut verstehen, denn es ist anstrengend, nervenzermürbend und fordernd. Deshalb dürfen wir als Unternehmerinnen auch lernen unsere Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen, denn erst dann können wir auch für andere da sein und sie optimal unterstützen.
Die Unternehmenskultur und deren Werte sind also wichtiger als innovative Incentives? Richtig, Werte sind die neuen Incentives. Diese zu leben ist jedoch viel aufwendiger, als dass man jemanden einfach etwas Zusätzliches gibt. Wir dürfen uns überlegen, wie unsere Unternehmenskultur ist, denn ich glaube, dass dies heutzutage eine größere Rolle spielt. In allen Hotels sind die gleichen Aufgaben zu verrichten, diese unterscheiden sich kaum. Die Frage ist jedoch, wie man zu der Ausübung dieser Aufgaben steht: gibt es eine Fehlerkultur? Dürfen Mitarbeiter Dinge auf ihre Art ausprobieren und Fehler machen, aus denen sie lernen können? Oder haben wir fixe Strukturen, in denen sich die Mitarbeiterin kaum kreativ bewegen kann?
Wie steht es mir Perfektion? Es kostet viele Mitarbeiter einiges an Zeit und Nerven das Verständnis von Perfektion ihrer Vorgesetzten umzusetzen. Dabei vergessen wir, dass Perfektion nichts Absolutes ist, sondern immer im Auge des Betrachters liegt.
Wie stehen wir zum Loslassen, dazu einen Vertrauensvorschuss zu gewähren? Niemand möchte ständig kontrolliert werden, denn es entstehet ein Gefühl von Misstrauen, wenn alles, was man tut überprüft wird. Man vermittelt dem anderen den Eindruck, dass er seinen Job nicht „gut genug“ ausübt. Wie gesagt, es kommt auf die Haltung an und wie sie gelebt wird. Ich glaube, wenn wir unsere Haltung ändern, wird sich auch der Fachkräftemangel verbessern.
Deine persönliche Buchempfehlung zu diesem Thema ist…
Podcasts sind die neuen Bücher ;-) Mein Podcast der SARA Weg - die neue Art der Unternehmens(beg)LEITUNG beschäftigt sich genau mit diesen Themen. Wöchentlich erscheinen in kurzen, knackigen Folgen verschiedenen Herausforderungen zum Thema Unternehmens- und Teamleitung. SARA steht für Sicherheit, Aufmerksamkeit, Ruhe und Anerkennen. Allesat frühkindliche Bedürfnisse, die im Erwachsenenalter auch eine wesentliche Rolle spielen. Der Claim lautet „ich sehe dich“ und genau darum geht es, in jeder zwischenmenschlichen Beziehung und somit auch im Job.
ZUR PERSON:
Judith Senoner ist in Südtirol geboren und aufgewachsen, studierte in Wien Betriebswirtschaft und ist Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt Personalwesen. Als Mutter von drei Buben, von denen sie zwei begleiten darf, hat sie sich im letzten Jahr mit ihrem Konzept „der SARA Weg - die neue Art der Unternehmes(beg)LEITUNG selbständig gemacht.
Good to know: Leadership mit Female-Kick
Der SARA Weg entstand aus der frühkindlichen Mutter-Kind-Beziehung, gestützt von Einflüssen und Konzepten aus der Pädagogik. Mütter sorgen nämlich mit viel Verständnis, Empathie und Mitgefühl für Sicherheit, Aufmerksamkeit, Ruhe und Anerkennung bei ihren Kindern. Und genau in diese Mutterrolle schlüpfen künftig Begleiter und Begleiterinnen nach dem Prinzip des SARA Wegs, wenn sie die Unternehmensvision verfolgen und ihre Träume weiterhin verwirklichen wollen. Und das schaffen sie nur, wenn es Mitarbeiterinnen gibt, die sie dabei tatkräftig unterstützen. Der SARA Weg ist ein Managementkonzept, der eine neue Kultur in der Mitarbeiter-Begleitung etabliert.
Photocredits
Photos by Jacqueline Munguia and Tim Mossholder on Unsplash
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